Verteidigen

Im Spiel gegen den Ball, gibt es grundsätzlich zwei Ziele.

  1. Tor verhindern
  2. Ball erobern

Wo es früher häufig nur um die Frage ging, wie das Tor verhindert werden kann, geht es heute immer mehr auch darum, zu überlegen wie man aktiv den Ball erobern kann.

Wann macht eine Balleroberung am meisten Sinn? Wie wollen wir den Ball erobern? Wo wollen wir den Ball erobern?

Die Verteidiger haben auf dem Platz vier Referenzpunkte: Eigene Position, Position der Mitspieler, Position der Gegenspieler und Position des Balls. Durch diese vier Punkte, entscheidet ein Spieler meistens intuitiv, wo er sich positioniert, wann er versucht den Ball zu erobern, wann er absichert usw.

Würden sich elf Spieler treffen, die zuvor noch nie miteinander gesprochen oder trainiert haben und unterschiedliche Ideen vom Verteidigen haben, so würde jeder diese vier Referenzpunkte anders priorisieren.

Ein Spieler würde sich vielleicht, unabhängig vom Ball, ausschließlich am Gegenspieler orientieren, einer erwartet Ball und Gegner erst am eigenen Strafraum und wieder ein anderer möchte möglichst weit vorne den Ball gewinnen. Ein Ballgewinn wäre in dieser Konstellation eher Zufall.

Um den Zufall im Spiel gegen den Ball zu minimieren, gilt es im Training einen Plan zu kreieren, der jedem Spieler Anhaltspunkte gibt. Wann schiebe ich näher an meinen Gegenspieler? Wann schieben wir nach vorne/hinten/rechts/links? Orientiere ich mich mehr am Gegenspieler oder am Ball? Wann sollte der Abstand zu meinem Mitspieler wie groß sein?

Erst wenn jeder Spieler weiß, was er und seine Mitspieler zu tun haben, kann der Zufall minimiert und die Chance auf einen Ballgewinn erhöht werden.

Mannschaften die verteidigen um den Ball zu erobern, versuchen durch eine hohe Aktivität den Gegner zu Fehlern zu zwingen oder in Zweikämpfe zu lenken, um anschließend möglichst schnell umzuschalten.

Aktivität bedeutet, dass man ab einer bestimmten Zone auf jede Aktion des Gegners eine direkte Antwort parat hat. Dabei geht es dann zum Beispiel darum Pässe zu antizipieren und zu attackieren. Schiebt man mit dem Pass zu einem Gegenspieler heran, kann man entweder den Pass abfangen oder unmittelbar nach Ballannahme in einen Zweikampf kommen. Dabei kann es hilfreich sein, den Gegenspieler bewusst nicht zu stellen, sondern ihn aktiv zu attackieren. Gerade wenn man ballnah eine Überzahl und eine daraus resultierende gute Absicherung hat, können diese 50/50-Zweikämpfe dazu führen, dass der Gegenspieler in die Rolle des Reagierens gedrängt wird. Stellt man den Gegenspieler, kann man ihm zwar eine Seite anbieten (ASTLB), aber am Ende reagiert man auf die Aktion/Entscheidung des Gegners. Läuft man im Zweikampf durch, muss der Gegenspieler darauf reagieren.

Wird ein Spieler überspielt, sei es durch ein verlorenes 50/50-Duell oder durch einen Vertikalpass, gilt es so schnell wie möglich nach hinten zu pressen, um den Zeitdruck und die Aktivität nicht zu verlieren. Die Spieler hinter dem “Vorwärtsverteidiger” müssen für eine gute Absicherung sorgen. Dabei gilt es stets die torgefährlichsten Räume so gut wie möglich zu sichern, die ungefährlicheren Räume so gut wie nötig. Dabei gilt das Prinzip von Tobias Escher: “Das Zentrum und die Tiefe müssen so gut wie möglich abgesichert werden, die Breite so gut wie nötig”. Dieses Prinzip lässt sich einfach aus den offensiven Zielen ableiten. Die ballbesitzende Mannschaft will wenn möglich immer in die Tiefe spielen und in den zentralen Zonen bleiben, um einerseits Raumgewinn zu erzielen und Gegenspieler zu überspielen und anderseits um alle Spielrichtungen als Optionen beizubehalten.

Rückt ein Spieler aus eine Kette vor, um den Gegenspieler aktiv zu stellen, muss die restliche Kette darauf reagieren. Die restlichen Spieler der Kette bilden dann häufig ein Abwehrdreieck, um die Tiefe bestmöglich abzusichern. Die Schnittstellen zwischen den einzelnen Akteuren der Kette müssen immer so gering wie nötig gehalten werden. Was das genau bedeutet, muss jeder Trainer für sich selber entscheiden. Häufig wird jedoch in Tornähe versucht, die Schnittstellen sehr klein zu halten, da man dann durch einen Schnittstellenpass direkte Torgefahr erwarten muss und häufig ein dynamischer Nachteil entsteht. Mit jeder Aktion eines Verteidigers, folgt eine Reaktion der anderen Verteidiger.

Aus dem Absichern des Zentrums und der Tiefe resultiert automatisch häufig ein Lenken des Gegners nach Außen. Um einen Ballgewinn zu realisieren, kann eine Überzahl in Ballnähe helfen, da man durch eine bessere Absicherung mehr Aktivität und Aggressivität erhält und mehr Risiko eingehen kann. Der Gegenspieler sollte unter Druck gesetzt und Optionen (Pass oder Dribbelwege) beschränkt werden.

Häufig nutzt man bestimmte Trigger als Startpunkt für das aktive Jagen des Balls. Dies können klassischerweise schlechte Pässe/Ballannahmen oder hohe Bälle sein, aber auch ganz einfach das Eindringen des Gegners in die vorher festgelegte Zone.

Jeder Pass und jede Aktion des Gegner wird im ballorientierten Verteidigen durch eine passende “Antwort kommentiert”. Spielt der Gegner einen Rückpass, kann die Verteidigung etwas nach vorne schieben (sollte ein direkter langer Ball hinter die Kette ausgeschlossen werden). Spielt er nach außen, wird ballnah verschoben. Wird beispielsweise das Mittelfeld überspielt, fällt man trichterförmig nach hinten um Zeit zu gewinnen. Dribbelt ein Gegenspieler mit dem Rücken zum Tor der Verteidiger, schiebt man nach vorne. Diese Verschiebebewegungen dienen dazu, den zu bespielenden Raum möglichst gering zu halten, das Feld möglichst klein zu machen. Dabei kann die Abseitsregelung den Verteidigern helfen. Trotzdem stehen auch diese Verschiebebewegungen unter der Prämisse, das Zentrum und die Tiefe bestmöglich abzusichern. Macht man das Feld also sehr klein, die letzte Kette schiebt sehr hoch, der Gegner überspielt aber mit einem Ball die letzte Kette und läuft frei auf das Tor zu, hat man am Ende nichts gewonnen.

Verteidigen zu perfektionieren bedarf Erfahrung und Spielverständnis. Man kann recht schnell und einfach lernen, wie das allgemeine Kettenverschieben funktioniert, also wie man beispielsweise ein Abwehrdreieck oder eine Abwehrsichel bildet. Das Verständnis zu entwickeln, wann man den Raum verknappt, wann man wieder fällt, wann man aktiv/passiv ist, usw. bedarf einer etwas längeren Zeit. Dazu gehört beispielsweise auch, mögliche nächste Handlungen des Gegenspielers zu antizipieren, um aus der Rolle des Reagierens in die Rolle des Agieren zu switchen.

Für welches System man sich letztendlich entscheidet, hängt natürlich an den Stärken und Schwächen der Mannschaft, aber auch an der Spielidee und der taktischen Ausrichtung des Trainers. Dabei haben die unterschiedlichen Spielsysteme unterschiedliche Vor- und Nachteile. Immer mehr Mannschaften entscheiden sich mittlerweile für das Spiel mit Dreier- respektive Fünferkette. Dabei hat man die Möglichkeit noch aggressiver und risikoreicher nach vorne zu verteidigen, auch aus der letzten Linie heraus, da man immer noch vier Verteidiger als Absicherung hat. Diese bessere Absicherung hilft auch bei den mentalen Aspekten, die bei dieser Art des Verteidigens nicht vernachlässigt werden dürfen. Immerhin ist eine solche aktive Spielweise sowohl physisch, als auch psychisch extrem belastend. Wird die Angst einen Fehler zu machen, größer als die Vorfreude den Ball zu gewinnen, fängt man schnell an abwartend und reagierend zu spielen. Passiv also.

Bei langen Bällen gilt es erste und zweite Bälle zu verteidigen. Der erste Schritt ist das Erkennen eines langen Balls. Dies lässt sich häufig anhand des Rhythmus des Anlaufs und dem Setzen des Standbeins erkennen. Wird ein langer Ball erwartet, fällt man etwas, um nach vorne in den Ball gehen zu können. Der ballnächste Spieler versucht den ersten Ball nach vorne zu verteidigen, die anderen Spieler versuchen erneut das Zentrum und die Tiefe abzusichern, um sich so für einen zweiten Ball zu positionieren. Zentrum und Tiefe müssen in beide Spielrichtungen abgesichert werden, je nachdem wer das Duell um den ersten Ball gewinnt.

Je näher der Ball am eigenen Tor ist, desto näher sollte man sich am Gegenspieler orientieren. Je größer die Tornähe, desto mehr rückt das Ziel Tor verteidigen in den Vordergrund. Bricht der Gegner über die Flügel durch, welche so gut wie nötig abgesichert wurden, wechseln viele Mannschaften innerhalb des Strafraums in eine mannorientiertere Spielweise. Eine strikte Manndeckung ist jedoch auch im Strafraum häufig kontraproduktiv, da man dadurch schnell einen dynamischen Nachteil erhalten kann. Mehr Sinn macht häufig eine Zuteilung der Verteidiger auf die torgefährlichsten Zonen. In diesen Zonen sollen die Verteidiger dann eng am Mann sein, wobei immer der Gegenspieler und Ball im Blick sein muss und die innere Linie abgedeckt wird. Wechselt ein Angreifer die Zone, muss dies schnell kommuniziert und erkannt werden, um eine passende Antwort darauf parat zu haben. Verteidigt man Flanken im Strafraum unabhängig von dem Referenzpunkt “Ball”, ist man immer nur so gut, wie die Flanken schlecht/ungenau sind. Man würde also den Erfolg oder Misserfolg, an die Hoffnung einer ungenauen Flanke festmachen. Denn kommt die Flanke präzise auf einen Stürmer zwischen den zugewiesenen Räumen, hat dieser einen dynamischen Vorteil und keinen direkten Gegenspieler.

Prinzipien / Anforderungen:

  • Das Zentrum und die Tiefe müssen so gut wie möglich abgesichert werden, die Breite so gut wie nötig
  • Pässe durch die Schnittstellen verhindern
  • Je näher am Tor, desto näher am Mann
  • Je näher am Tor, desto geringer die Schnittstellen
  • Im Strafraum mannorientiert
  • Pässe antizipieren
  • Mit dem Pass attackieren
  • In Zweikämpfen durchlaufen (50/50-Duelle suchen)
  • Rückwärtspressen
  • Lange Bälle erkennen
  • Nach vorne in den ersten Ball gehen
  • Zweite Bälle aggressiv verteidigen
  • In unserer Zone jede Aktion des Gegners beantworten
  • Agieren statt reagieren
  • In der Dynamik Zweikämpfe suchen und gewinnen (nach vorne verteidigen)
  • Bespielbaren Raum verknappen
  • Überzahl in Ballnähe herstellen
  • Druck auf den Ballführenden
  • Dem Ballführenden alle Optionen (Dribbel-, Pass- und Schusswege) nehmen
  • Aggressive Zweikämpfe führen
  • Pressingsignale erkennen
  • Torwart als aktive letzte Absicherung
  • Vorfreude des Ballgewinns, größer als Angst eines Gegentors