Prinzipien und Automatismen

Was sind Prinzipien im Sport und was bringen sie?

Im Internet stößt man schnell auf folgende Definition von systematischen Prinzipien:

Die Definition der logischen Struktur eines Systems ist gleichbedeutend mit der Formulierung von dessen Prinzip. Ein systematisches Prinzip liegt dann vor, wenn sich eine bestimmte Wirkung auf die Konstellation spezifischer Faktoren zurückführen lässt, die in dieser Konstellation immer diesen gleichen Effekt hervorrufen. Typischerweise wird das Prinzip nicht durch die Gesamtmenge der dazu beisteuernden Faktoren bestimmt, sondern durch die geringstmögliche Menge von Faktoren, die diesen Effekt hervorbringen. In diesem Sinne wird ein Prinzip bestimmt durch den kleinstmöglichen Algorithmus, der zur Erzeugung des speziellen Effekts notwendig ist.

Was sich zuerst etwas kompliziert anhört, lässt sich bei genauerer Betrachtung recht einfach auf den Fußball beziehen.

Die Definition der logischen Struktur eines Systems ist gleichbedeutend mit der Formulierung von dessen Prinzip.”

Heruntergebrachten folgt ein Prinzip der Logik des Spiels. Es entsteht sogar aus der Logik des Spiels. Es gilt dementsprechend aber zuerst die Logik des Spiels zu definieren. Auf den Fußball bezogen, ist das schon die erste große Herausforderung. Es gibt nicht die eine Logik. Der Fußball ist ein dynamisches Geflecht aus ständig neuen Situationen, trotzdem folgt ein Spiel immer auch logischen Grundsätzen. Haben wir ballfern Unterzahl, haben wir ballnah Überzahl. Es gibt eine Korrelation aus den vier Referenzpunkten: Ball, Mitspieler, Gegenspieler und Raum.

Ein Prinzip muss also logischen Ansätzen aus dem realen Zielspiel (System) folgen und ist damit zwangsweise praxisorientiert.

Ein systematisches Prinzip liegt dann vor, wenn sich eine bestimmte Wirkung auf die Konstellation spezifischer Faktoren zurückführen lässt, die in dieser Konstellation immer diesen gleichen Effekt hervorrufen.

Folglich hat ein Prinzip also den Anspruch immer, unabhängig von externen Faktoren, einen bestimmten Effekt hervorzurufen, wenn denn bestimmte spezifische Faktoren umgesetzt werden. Im Fußball soll es daher gegnerunabhängig und situationsunabhängig wirken. Die Situation ist nicht entscheidend, sondern die Konstellation der spezifischen Faktoren. Diese spezifischen Faktoren müssen herausgearbeitet werden und als Prinzipien und Sub-Prinzipien ausformuliert werden.

Typischerweise wird das Prinzip nicht durch die Gesamtmenge der dazu beisteuernden Faktoren bestimmt, sondern durch die geringstmögliche Menge von Faktoren, die diesen Effekt hervorbringen.”

Das Prinzip ist keine Szenenanalyse, sondern eine Kernaussage. Es beschreibt also nicht alle Faktoren, die zu einem bestimmten Effekt beitragen, sondern es beschreibt die Faktoren, die den Effekt maßgeblich auslösen. Betrachtet man eine Spielsituation, kann man sich zu Tode analysieren. Was hat der Laufweg des Sechsers ausgelöst? Wie hat die Spielstellung den Verteidiger beeinflusst? Die Kunst ist es aber, die Aussage der Szene zusammenzufassen. Warum hat der Konter zum Tor geführt? Es gilt die geringstmögliche Menge an Faktoren (Prinzipien) zu bestimmen, die trotzdem in ihrer Gesamtheit zu dem erwünschten Effekt führen. Das wiederum erfordert eine Analyse zum Start und ein ständiges, effektorientiertes Anpassen im Prozess.

In diesem Sinne wird ein Prinzip bestimmt durch den kleinstmöglichen Algorithmus, der zur Erzeugung des speziellen Effekts notwendig ist.

Ein Prinzip muss simpel sein. Ein Prinzip muss zielorientiert sein. Mehr nicht.

Der größte Vorteil ist also, dass Prinzipien es ermöglichen, unabhängig von Gegnern oder Situationen, Effekte zu erzeugen, die der eigenen Spielidee zutragen.

Automatismen hingegen sind folgendermaßen definiert:

Als Automatismus (plural: Automatismen) bezeichnet man in der Verhaltensbiologie alle Aktivitäten, die ohne erkennbare willentliche oder äußere Steuerung und Kontrolle vollzogen werden. Dies unterscheidet sie von Reflexen und Instinktverhalten, die zumindest durch äußere Faktoren beeinflusst werden können.

Demzufolge ist ein Automatismus also das Wiedergeben von Erlerntem unabhängig von äußeren Faktoren. Man könnte also meinen, dass auch ein Automatismus gegner- und situationsunabhängig gilt. Der Erfolg oder Misserfolg ist hierbei aber nicht an ein definiertes Mindestmaß an spezifischen Faktoren geknüpft. Automatismen werden ohne erkennbar willentliche Steuerung vollzogen. Sie werden einfach nur reproduziert. Der größte Unterschied ist, dass Prinzipien allgemein und auf ein Ziel hin formuliert werden, Automatismen hingegen sind automatisierte, vom Bewusstsein unabhängige Handlungen, die etwas überspitzt gesagt unter Laborbedingungen gezüchtet werden, um anschließend von der Realität widerlegt zu werden.

Ein banales Beispiel soll das verdeutlichen:

In der Grundschule werden Prinzipien für einen guten Umgang miteinander festgelegt.

Regeln, wie “Wir ärgern uns nicht”, “Wir gehen nett miteinander um” oder “Wenn jemand STOPP sagt, dann hören wir auf” werden festgelegt. Jeder Schüler hat nun einen groben Plan, wie er sich zu verhalten hat.

Er fährt auf einer Straße, die mit Leitplanken ausgestattet ist, von der man nur mit großem Aufwand und Schaden abkommen kann.

In einer Pause zwischen zwei Stunden, nimmt Tim seine Wasserflasche und macht damit Nico nass. Nico ruft sofort: “STOPP, du sollst mich nicht ärgern!”. Tim erinnert sich an die gemeinsamen Regeln und hört widerwillig auf. Er erinnert sich daran, dass bei Nichteinhaltung der Regeln Konsequenzen folgen, die unangenehm sein können (Leitplanken). Es herrscht im Großen und Ganzen ein Konsens über den Umgang miteinander.

Eine neue Lehrerin wirft das Regelwerk über den Haufen. Sie ist der Auffassung, dass die Regeln zu ungenau sind und zu viele Grauzonen beinhalten. Sie formuliert ganz konkrete Regeln, an die es sich zu halten gilt. Zum Beispiel “Tim darf Nico nicht mit der Wasserflasche nass machen” oder “Wir werfen nicht mit dem blauen Radiergummi auf andere Jungs”.

Auf dem Schulhof geht Tim wieder zu Nico. Diesmal nimmt er seine Flasche mit Apfelschorle und kippt diese über Nico aus. Nico erwidert sauer: “STOPP, du sollst mich nicht ärgern. Hör auf!”. Tim entscheidet sich diesmal aber weiter zu machen, er kann sich an keine Regel erinnern, die ihm das verbietet. Nico muss also eine neue Entscheidung treffen.

Die Schüler sind durch die Regeln zwar immer noch auf einer gemeinsamen Straße. Um diese herum sind diesmal aber keine Leitplanken, sondern plötzlich ganz viele Ausfahrten – Variablen.

Die Regeln der neuen Lehrerin sind nicht falsch. Sie funktionieren auch. Es gibt nur zu viele Variablen (externe Faktoren), die diesen Regeln ausweichen oder sie verhindern.

Der Fußall ist zu komplex, um jede mögliche Situation einzustudieren. Es gibt Situationen, die dafür geeigneter sind als andere, zum Beispiel Standardsituationen. Diese sind, wie der Name schon sagt, standardisierter. Ein Elfmeter wird immer vom Elfmeterpunkt geschossen. Und selbst da, kann man nicht blind etwas einstudieren. Du kannst einen perfekten Elfmeter ins linke Eck schießen, wenn der Torwart da aber schon steht, wird der Ball trotzdem nicht reingehen.

Auch die Phase entscheidet über die Umsetzung von Automatismen und Prinzipien. Bei den vier Referenzpunkten: Ball, Gegenspieler, Mitspieler, Raum / Tor entscheidet man im Spiel mit dem Ball aktiv über drei der vier Variablen (Mitspieler, Ball, Raum / Tor). Somit ist der Gegner automatisch eher in der Rolle des Reagierenden. Es geht folglich darum, seine eigene Spielidee umzusetzen, auf die der Gegner dann eine Antwort finden muss. Prinzipien können dabei helfen. Hat der Gegner aber den Ball, fällt ein Referenzpunkt logischerweise weg. Es ist eine höhere Gegneranpassung nötig. Es muss konkrete Lösungen gegen konkrete, vom Gegner provozierte, Situationen geben. Eine Möglichkeit wäre eine Mischung aus WENN-DANN-PRINZIPIEN und Automatismen, z.B. “Wenn der Gegner im Halbraum andribbelt, dann rückt der ballnahe 6er raus und wird durch ein Abwehrdreieck abgesichert.”. Jeder Automatismus folgt auch irgendeinem Prinzip, dementsprechend gilt es die Komplexität zu reduzieren. In bestimmten Situationen kann und sollte es eine einfache Anleitung geben, weil es das Spiel hergibt.

Automatismen im dynamischen Spiel mit Ball sind häufig utopisch. Versteift man sich im Training auf die banalsten Dinge, wie der exakte Laufweg oder die perfekte Ballberührung, wird man spätestens im Zielspiel von der Realität eingeholt. A spielt zu B, B spielt zu C und läuft zu F, D spielt zu A und läuft zu E. Das sieht gut aus, das funktioniert, das kann man im Detail einstudieren. Aber halt leider nur im Training.

Definiert man Erfolg als die Minimierung des Zufalls, dann sind Prinzipien, welche situationsunabhängig gelten, Erfolgsfaktoren. Auch Situationen, die vermeintlich aus Zufall entstehen, erhalten dadurch einen Sinn und einen Bezug zur eigenen Spielidee.